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Stalking

In einem Kontinuum können sexualisierte Grenzverletzungen, sexualisierte Belästigungen, häusliche Gewalt, Stalking und Mobbingssituationen unterschieden werden. Die einzelnen Formen bedingen sich teilweise gegenseitig, resp. ein Phänomen kann sich aus den anderen entwickeln. Es scheint deshalb sinnvoll, die einzelnen Formen im Überblick darzustellen.


1. Was ist Stalking?

Stalking stammt aus dem englischen und bedeutet "nachpirschen, nachstellen". Mit Stalking wird ein wiederholtes Verhalten bezeichnet, welches beim Opfer zu Angst und Bedrohungsgefühlen führt.

1.   Stalking ist ein grenzüberschreitendes, unerwünschtes Verhalten einer Person.
2.   Das Verhaltensmuster ist mit impliziten oder expliziten Drohungen gegen das Opfer verbunden.
3.   Das Opfer reagiert auf das Verhalten mit Angst. Folge sind mehr oder weniger deutliche Einschränkungen in der Lebensgestaltung.

Rund die Hälfte aller Stalking-Fälle entwickeln sich im persönlichen Beziehungs­kontext, die andere Hälfte im beruflichen Kontext. Stalking zieht sich regelmässig über einen längeren Zeitraum von Monaten bis Jahren hin. Stalking steht am Ende einer Verhaltenskette, die meist mit scheinbar harmlosen Grenzüberschreitungen beginnt.


2. Wie häufig ist Stalking?

Nach einer kürzlich publizierten Meta-Analyse von Voss (2004) ist davon auszugehen, dass rund eine von vier Frauen (24%) und einer von zehn Männern (10%) mindestens einmal im Leben Opfer eines Stalker werden. Damit wird ersichtlich, dass Stalking ein Massenphänomen darstellt, welches weite Bevölkerungskreise tangiert. Früher publizierte Zahlen müssen demzufolge deutlich nach oben korrigiert werden. Die Häufigkeitsangaben hängen davon ab, wie Stalking definiert wird.


3. Wer stalked?

Bei der überwiegenden Zahl von Stalkern handelt es sich um Männer - die Grössenordnung liegt bei 80% – während es sich bei den Opfern überwiegend um Frauen handelt (schätzungsweise 80%). Viele Stalker sind zum Zeitpunkt des Stalkings arbeitslos oder zumindest unterbeschäftigt. Stalking benötigt Zeit!

Die wenigsten Stalker zeigen zum Tatzeitpunkt diagnostizierbare psychiatrische Störungen. Viele sind bereits früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Stalker sind mehrheitlich sozial inkompetent und leiden unter Isolation und Einsamkeit. Das Stalking-Verhalten äussert sich auf unterschiedlichste Art und Weise. Am häufigsten findet das Telefon Verwendung. Mindestens die Hälfte aller Stalker bedrohen ihre Opfer.

Die üblichen "Entschuldigungsversuche" von Stalkern sind: Abstreiten, Minimalisieren, und <blaming the vicitim> (Täter-Opfer-Umkehr) - indem sie das Opfer für die Eskalation verantwortlich machen.


4. Welche Formen von Stalking sind bekannt?

Stalkern scheinen die simple Tatsche nicht akzeptieren zu können oder zu wollen, dass das Opfer keinen Kontakt resp. keine Beziehung mit ihnen wünscht. Die Stalker sind erfinderisch, wie sie im "Kontakt" bleiben können. Nachfolgend eine Liste bekannter Vorgehensweisen:

  Mündliche Druckversuche und verbale Drohungen
  Telefonanrufe
  Briefe und Karten
  Fax
  E-Mail, SMS
  Graffiti, Sprayereien
  Geschenke, Blumen
  Liebenserklärungen
  Nach- und Ausspionieren
  Bestellungen, Hauslieferungen
  Anzeigen, administrative Massnahmen
  Gerüchte, Falschmeldungen
  Körperliche Drohungen, Drohungen mit Waffen
  Beschädigung von Eigentum, Verletzung von Haustieren
  Tätlichkeiten
  Gang-Stalking
  Stalking by proxy (auf Bezahlung)


5. Wer wird Opfer von Stalking?

Die etwas naive Auffassung: "... mir kann das nicht geschehen" übersieht, dass das Stalking-Verhalten ausschliesslich vom Täter ausgeht. Diese Unberechenbarkeit macht Stalking zu dem was es ist. So wie niemand wirklich davor gefeiht ist, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, kann man auch nicht 100% vermeiden, Opfer eines Stalkers zu werden. Der Schutz der persönlichen Integrität ist ein Rechtsgut, das allen Menschen zusteht. Hier besteht in den europäischen Ländern eindeutiger Handlungsbedarf.


6. Unter welchen Folgen leiden betroffene Opfer?

Stalking wirkt über Vorstellungen und Fantasien beim Opfer - das Stalking Verhalten löst Furcht aus, und es dient dazu, das Opfer zu kontrollieren, zu ängstigen, und zu bestimmten Verhaltensweisen zu bringen (zwingen). Die Folgen sind abhängig vom Ausmass und der Art des Stalking-Verhaltens und können grundsätzlich im Sinne von psychotraumatologischen Beeinträchtigungen verstanden werden.

Oft werden nahe Bezugspersonen, Freunde und Ehepartner zu sekundären Opfern von Stalkern. Gelegentlich weitet sich der Kreis aus, und Mitbewohner, Mitarbeiter oder Vereinskolleginnen können mitbetroffen sein.

7. Was können Opfer tun, um sich zu schützen?

Die fehlende Information der Bevölkerung über Stalking führt zu vielen Missverständ­nissen und voreiligen Schuldzuweisungen an die Opfer. Gewalt ist das schlimmste Druckmittel, welches Stalker einsetzen. Diese Tatsache hat die Legislative in den englischsprachigen Ländern dazu bewogen, griffige Stalking-Gesetze zu erlassen.

Der wichtigste Rat an Betroffene ist: Hilfe suchen, und nicht alleine vorgehen. Angehörige, Freunde, allenfalls Mitarbeiter, etc. sind in die Vorfälle einzuweihen. Oft sehr hilfreich ist die Information mit Haus-Mitbewohnen oder Nachbarn. Wo erforderlich, sollen Fachleute beigezogen werden. Die Botschaft gegenüber dem Stalker muss klar sein: "Ich will keinen Kontakt mit dieser Person". Ohne Diskussion. Niemand ist gegenüber einer anderen Person zur Rechenschaft verpflichtet, wenn er oder sie nach derartigen Vorfällen keinen Kontakt wünscht.

Vorsicht gegenüber Stalkern ist immer angezeigt. Provozierende und riskante Dinge sind zu unterlassen. Trifft man unerwartet mit dem Stalker zusammen, empfiehlt sich ein unverzügliches Weggehen und Aufsuchen belebter Örtlichkeiten. Eine Trillerpfeife oder ein Pfefferspray bei sich zu haben, ist ratsam. Von James Bond Aktionen wird dringend abgeraten!
Wichtig ist, jeglichen Kontakt zum Stalker zu vermeiden. Nicht beim 40. Anruf mit riesen Wut den Telefonhörer abnehmen und reinbrüllen - der Stalker fühlt sich sonst bestätigt, dass er nur hartnäckig genug sein muss...

Betroffene sollen nach Möglichkeit alle Beweisstücke sammeln, und Beobachtungen und Feststellungen mit Datum und Uhrzeit protokollieren. Regelmässig erstellte Fotokopien, an eine Vertrauensperson weitergegeben, schützen vor Verlust, Entwendung oder Zerstörung.

Bei Bedrohung der persönlichen Sicherheit wende man sich an die zuständigen Polizeidienststellen.


8. Können Stalking-Täter behandelt werden?

Diese Frage wird in Europa mangels Erfahrungen kontrovers beurteilt. Die vielfach fehlende Einsicht in die Problematik ihres Verhaltens wird regelmässig von Fachleuten zum Anlass genommen, die Behandelbarkeit von Stalkern grundsätzlich in Frage zu stellen. Ohne zweckdienliches Zusammenspiel zwischen therapeutischen und juristischen Massnahmen ist jedoch eine Behandlung nicht durchführbar. Weiter muss die Behandlung als Teil eines Massnahmenbündels verstanden werden, um Stalking-Verhalten angehen zu können.

Täterbehandlung ist Opferschutz! Mittels deliktfokussierter, kognitiv-verhaltens­therapeutisch orientierten Behandlungsmethoden lassen sich Täter behandeln. Voraussetzung ist ein initiales Assessment, wo die Behandlungsmöglichkeit abgeklärt wird. Grundsätzlich ergeben sich folgende Möglichkeiten:

  Unbehandelbar (massnahmeunfähig, massnahmeunwillig)
  Behandelbar in stationären Intensivprogrammen
  Behandelbar im ambulanten Setting

Oberstes Ziel der Behandlung ist die Rückfallprävention. Der Stalker muss willens und fähig sein, sein Verhalten zu ändern. Wenn er darin einen Vorteil erblicken kann, wird dies seine Motivation bestärken.


9. Welche gesetzlichen Änderungen sind erforderlich?

Die Gesetze sind immer Ausdruck davon, welche Rechtsgüter die Gesellschaft schützt. Die fehlende Stalking-Gesetzgebung in Europa ist ein frappierendes Beispiel legislativer Ignoranz. In der Einleitung der europäischen Strafgesetzes-Sammlungen findet sich sinngemäss der Passus: Strafbar ist nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Im geltenden Massnahmerecht können Behandlungen nur bei Vorliegen von Krank­heiten angeordnet werden. Da bei der überwiegenden Zahl von Stalkern keine diagnostizierbaren Krankheitsbilder vorliegen, können sie nicht zu einer Behandlung verpflichtet werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

10. Wie kann die Polizei gegen Stalker vorgehen?

Vielfach im Gegensatz zu gerichtlichen Instanzen bilden sich die Polizeikräfte regel­mässig über aktuelle Dinge weiter. Im Bereich der Stalking-Prävention haben sich spezialisierte Threat-Management-Units bewährt. Diese Teams sind aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen in der Lage, die innere Dynamik der Stalking-Handlung zu erkennen. Es hat sich insbesondere in englischsprachigen Ländern gezeigt, dass erst mit der spezialiserten Polizeiarbeit ein wirkungsvoller Opferschutz zu erreichen ist - die Gesetze alleine genügen bei weitem nicht.


11. Was müssen Fachleute über Stalking wissen?

Stalking muss als Teilphänomen im Bereich von sexueller, körperlicher und emotionaler Gewalt verstanden werden. Ohne fundierte Kenntnisse über die Hintergründe und Folgen können Ärzte kaum die erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Massnahmen einleiten. Das selbe gilt für Ermittlungsbeamte und Richter. In erster Linie sind Kenntnisse über Täterstrategien erforderlich, um die innere Logik des Stalking-Verhaltens durchschauen zu können.


12. Hilfreiche Literatur und Internetseiten

Hoffmann J., Voss H.-G. W. (Hrsg.). Psychologie des Stalking. Verlag für Polizeiwissenschaften, Frankfurt, 2005

http://www.stalkingforum.de


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